Teslas Phantombremsungen sind jetzt gerichtsfest

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Teslas Phantombremsungen sind jetzt gerichtsfest
Friedhelm Greis, 24. September 2024, 13:15 Uhr


Ein bayerisches Gericht ließ angebliche Phantombremsungen bei Teslas überprüfen. Der Gutachter musste den Test aus Sicherheitsgründen abbrechen.

Sind die Phantombremsungen von Tesla nur ein Phantom oder gibt es sie wirklich? In einem Prozess zwischen einem Kunden und Tesla über unerwartete Bremsmanöver hat ein unabhängiger Gutachter ein solches Verhalten des betroffenen Tesla Model 3 bestätigt. Nach einer Phantombremsung auf der Testfahrt kam es dem Gutachten zufolge "im nachfolgenden Verkehr zu erheblichen Gefahrensituationen". Eine weitere Erprobung des Fahrzeugs auf öffentlichen Autobahnen war aus Sicht des Gutachters "aus Sicherheitsgründen nicht mehr durchführbar".

Dass die Assistenzsysteme von Tesla zu Phantombremsungen neigen, ist seit Jahren bekannt. Auch beim Test eines Model Y durch Golem.de im September 2021 kam es zu solchen unerwarteten Bremsungen. Bei einem Test des neueren Model 3 Highland haben uns die Assistenzsysteme ebenfalls nicht überzeugt.


600 Testkilometer auf der Autobahn

In dem Prozess vor dem Landgericht Traunstein versucht der Kunde wegen der Probleme mit dem Assistenzsystem, den Austausch seines Fahrzeugs zu erstreiten. Dem 19-seitigen Gutachten (PDF) zufolge fasste das Gericht im Januar 2024 einen Beweisbeschluss, um die angeblichen Mängel durch einen unabhängigen Experten überprüfen zu lassen.

Der Sachverständige war demnach im August 2024 auf den Autobahnen A3 und A9 in Bayern unterwegs und legte dabei 600 Kilometer auf der Autobahn zurück. Das Gutachten dokumentiert fünf Situationen, in den sich der Autopilot "unplausibel verhielt". Die Situationen wurden dabei durch zwei Kameras dokumentiert.


Typische Angstbremsungen

Zwei der Phantombremsungen ereigneten sich innerhalb von Baustellen. Dabei reduzierte das Model 3 jeweils auf der linken Spur die Geschwindigkeit, weil sich auf der rechten Fahrbahn ein langsameres Fahrzeug befand, das der Tesla offenbar aus Abstandsgründen nicht passieren wollte. In den Baustellen war nur der Abstandsregeltempomat, jedoch nicht der Lenkassistent aktiv. Solche "Angstbremsungen" treten nach Einschätzung von Golem.de aber auch bei anderen Marken auf, beispielsweise bei einem Test des Nio ET7.

Bei zwei weiteren Fällen reduzierte der Model 3 auf regulären Autobahnabschnitten die Geschwindigkeit unerwartet auf 80 beziehungsweise 90 km/h. "Eine entsprechende Beschilderung oder ähnliches war nicht festzustellen, der Fahrbahnverlauf oder andere äußere Einflüsse gaben aus Sicht des Unterzeichners auch keinen Anlass dazu", heißt es. Ein solches Verhalten ist bei Tests von Golem.de ebenfalls schon häufig beobachtet worden und lag vermutlich darin begründet, dass im Navigationssystem ein entsprechendes Tempolimit hinterlegt war. Das ist jedoch auch bei Fahrzeugen anderer Hersteller häufig der Fall.


Notbremsungen verursacht

Gravierender war jedoch eine weitere Situation. Auf einer dreispurigen Autobahn ohne Tempolimit bremste das Model 3 unvermutet von 140 km/h auf 94 km/ stark ab. Das Abbremsen des Fahrzeugs sei aus technischer Sicht nicht erforderlich gewesen. "Durch diese Situation kam es im nachfolgenden Verkehr zu erheblichen Gefahrensituationen. Dort konnten Ausweichmanöver und starke Bremsmanöver der nachfolgenden Fahrzeuge beobachtet werden", schreibt der Gutachter.

Da eine "in dieser Situation nicht vorhersehbare Gefährdung der Insassen des streitgegenständlichen Fahrzeugs und auch der anderen, nachfolgenden Verkehrsteilnehmer auftrat", sei die Probefahrt mit aktiviertem Autopiloten abgebrochen worden.

Der Gutachter kommt zu dem Schluss: Insbesondere die zuletzt geschilderte Situation entspreche der Beschreibung einer Phantombremsung, wie diese im Beweisbeschluss dargestellt worden sei.


Tesla äußert sich nicht

Nach Einschätzung des Klägeranwalts Christoph Lindner ist das Gutachten "besonders bedeutsam, weil erstmals ein unabhängiger, gerichtlich bestellter Sachverständiger das Auftreten von Phantombremsungen bestätigt hat". Gleichzeitig sei man "schockiert, denn es ist zu spät, wenn solch gravierende Sicherheitsrisiken erst im Rahmen eines Zivilrechtsstreits bemerkt und ernst genommen werden".

Einem Bericht des Handelsblatts (Paywall) zufolge äußerte sich Tesla auf Nachfrage nicht zu dem Ergebnis des Gutachtens. Bislang habe der Konzern die Existenz der Phantombremsungen stets zurückgewiesen und dabei regelmäßig auf Bedienfehler der Kunden verwiesen.


quelle: golem.de